Wer oder was ist eigentlich Comirnaty? Oder Tozinameran?

Dieses Jahr trifft es das sprichwörtliche „Rutschen“ nicht so schlecht. Man könnte fast sagen, wir Schlittern ins neue Jahr 2021. Doch die Covid-19 Impfungen, so schleppend sie vielerorts auch anlaufen, lassen etwas Hoffnung aufkommen. Ich wurde gebeten etwas zu diesem Thema zu schreiben. Denn die so rasant von Moderna, BionTech und Pfizer entwickelten Impfstoffe sind schließlich RNA Impfstoffe. Wird uns damit ein Gen verabreicht? Und was bedeutet das?

Tozinameran ist der generische Name eines modRNA Impfstoffes gegen Covid-19

Dieser Artikel soll sich um den Impfstoff drehen, der von BioNTech in Kollaboration mit Pfizer entwickelt wurde, und zwar sprichwörtlich in einer Operation „lightspeed“. Denn so wurde das Programm genannt, das mit der Veröffentlichung des Genoms des neuen SARS-CoV2 durch das Chinesische Center for Disease Control und Prevention am 10. Januar 2020 ins Leben gerufen wurde. Im Dezember 2020 gab es die ersten Zulassungen. Im Zuge dessen bekommt das Kind auch einen echten Namen. Denn BNT162b2, wie der Impfstoff während der Entwicklung genannt wurde, ist nun wirklich kein zumutbarer Name, außer vielleicht für einen Zweitgeborenen von Elon Musk und Grimes. BioNtech und Pfizer hingegen werden ihr Produkt von nun an als Comirnaty verkaufen. Neben dem Markennamen wird für jedes neu zugelassene Medizinprodukt aber auch ein internationaler Freiname (kurz INN von english. International Nonproprietary Name) vergeben. Dieser generische Name des Covid-19 Impfstoffs lautet Tozinameran.

Worum handelt es sich also bei Tozinameran? Der Wirkstoff ist bekanntermaßen RNA, genauer gesagt handelt es sich um messenger RNA (mRNA). mRNA ist die Nachrichtenübermittlerin; es ist die Abschrift eines Gens der DNA, die aus dem Zellkern ins Zytoplasma wandert und dort als Vorlage zum Bau eines Proteins dient. Während die DNA aus den Basen A, C, G und T aufgebaut ist, wird in der RNA A, C, G und U verwendet. Wenn man sich nun aber die Sequenz von Tozinameran ansieht, dann sieht die so aus: GAGAAΨAAAC ΨAGΨAΨΨCΨΨ CΨGGΨCCCCA CAGACΨCAGA GAGAACCCGC CACCAΨGΨΨC GΨGΨΨ… (gezeigt sind die ersten 65 von insgesamt 4284 Nukleotiden; den gesamten Code findet man hier bei der WHO). Statt dem zu erwartenden U findet man dieses komische Phi, Ψ. Was ist hier los?

Konventionelles Uridin (links) als Baustein von RNA und Pseudouridin (rechts). Pseudouridin(Ψ)-Synthase kann nach der Transkription Uridin in Pseudouridin überführen.

Das Phi im RNA Code steht für Pseudouridin. Pseudouridin ist ein modifiziertes Uridin, bei dem das Uracil nicht mit der üblichen C-N Bindung and die Ribose gebunden ist, sondern stattdessen mit einer C-C Bindung. Tozinameran ist also eine so gennannte nucleoside modified mRNA, oder kurz modRNA. Denn unser Körper verfügt tatsächlich über etliche Immunabwehrmechanismen gegenüber fremder RNA. Auf die modifizierte RNA reagieren diese Mechanismen aber nur sehr eingeschränkt, weswegen bei den meisten Geimpften die starke Immunantwortreaktion ausbleibt, die durch normale RNA ausgelöst werden würde.

Wie Tozinameran in unsere Zellen gelangt und was dann passiert

Dennoch muss dafür gesorgt werden, dass unsere Zellen den RNA Impfstoff überhaupt aufnehmen, damit im Zellinneren das darauf codierte Protein gebaut werden kann. Zu diesem Zweck ist die Tozinameran RNA in Liposomen, also kleinen Fetttröpfchen verpackt. Diese Nanopartikel können mit den Zellmembranen verschmelzen, nachdem der Impfstoff intramuskulär verabreicht wurde. Vor allem dendritische Zellen und Makrophagen des Immunsystems nehmen diese Liposomen mitsamt der fremden RNA auf. Hauptsächlich diese Zelltypen produzieren letztlich also das codierte Protein. Aber welches Protein ist das eigentlich?

Rendering von Coronaviren mit dem Spike-Protein in grün.

Auf der Tozinameran mRNA ist das Spike Protein des neuen Coronavirus SARS-CoV2 codiert. Das Spike Protein sitzt in der Fetthülle des Coronavirus und ist für die Bindung an den ACE2 Rezeptor und dadurch das Verschmelzen mit der Zellmembran der Wirtszellen verantwortlich. Wenn man sich die Sequenz im Impfstoff ansieht, dann merkt man allerdings, dass zwei der insgesamt 1273 Aminosäuren des Spikeproteins verändert wurden. An den Positionen 986 und 987 wurden die in der Virussequenz codierten Aminosäuren Lysin und Valin durch zwei Proline ausgetauscht. Warum?

Unsere Zellen sollen ja nur das Spike-Protein bauen und nicht den Rest der Coronavirus-Hülle. Nun stellte sich aber heraus, dass sich das Spike-Protein, wenn es sich nicht in die Virushülle einfügt, umfaltet, also eine andere räumliche Struktur einnimmt. Da diese Struktur aber nicht der des Spike-Proteins an der Virusoberfläche entspricht, wäre es blöd, wenn wir gegen diese umgefaltete Form Immunität entwickeln würden. Zum Glück konnte aber bereits 2017 eine US-amerikanische Forschergruppe zeigen, dass der Austausch des Lysins an Position 986 und des Valins an Position 987 durch die stark strukturbrechend wirkenden Proline dazu führt, dass diese Umfaltung verhindert wird und die Form des Spike-Proteins dadurch ähnlich bleibt, wie wenn es in der Virushülle sitzen würde.

Sequenzoptimierung durch BioNTech/Pfizer und Reverse Engineering durch Citizen Science

Wenn man die Sequenzen von Tozinameran und dem Abschnitt des Virusgenoms, auf dem das Spike Protein codiert ist, vergleicht, wird man feststellen, dass die Sequenzen hochgradig unterschiedlich sind. Wie kann das sein, wenn ich gerade erklärt habe, dass nur zwei Aminosäuren ausgetauscht wurden? Die Antwort liegt in einer Eigenschaft des genetischen Codes, die Biologen Degeneration nennen. Wie ich an anderer Stelle bereits ausführlicher erläutert habe, gibt es in unseren Proteinen nur 20 Aminosäuren, auf der DNA und RNA hingegen jeweils 64 Möglichkeiten eine Aminosäure zu codieren. Denn immer drei der vier verschiedenen Basen A, C, G und T/U bestimmten eine Aminosäure. Dies führt dazu, dass die letzte Stelle in so einem Triplett oft gar keine Rolle mehr spielt, da beispielsweise CCA, CCC, CCG und CCT/U alle für die Aminosäure Prolin codieren. CCA in einer RNA kann man also beispielsweise einfach in CCG umschreiben und es ändert nichts an dem codierten Protein; man spricht von einer „stillen Mutation“. Aber warum sollte man das tun?

Die Code Sonne wird von innen nach außen gelesen: im Innersten Ring liest man die erste Stelle eines RNA-Tripletts ab, im mittleren Ring die zweite und im dritten Ring die dritte. Beachte, dass die Identität der dritten Base oft gar keine Rolle mehr spielt, was die durch das Triplett codierte Aminosäure angeht (ganz außen).

Erstaunlicherweise ist es einfach so, dass GC-reiche mRNA sehr viel langlebiger ist und effizienter in Protein übersetzt wird, als AT-reiche mRNA (siehe zb hier). Die meisten der Veränderungen in der Sequenz von Tozinameran gegenüber der Sequenz im SARS-CoV2 Genom kann man also darauf zurückführen, dass die Entwickler versuchten den GC-Gehalt der RNA durch stille Mutationen zu erhöhen. Ein anderer Ansatz, die Sequenz durch stille Mutationen effizienter zu machen ist es sich an der sogenannten Codon Usage des Menschen zu orientieren. Denn jeder Organismus verwendet verschiedene synonyme Triplets unterschiedlich häufig im codierenden Genom. Die Optimierung von DNA- und RNA- Sequenzen nach diesen Gesichtspunkten ist eine Sportart für sich, die allerdings nicht nur Laborwissenschaftler zu spielen scheinen:

Vieles von dem, was ich hier schreibe, hat Bert Hubert bereits in seinem äußerst lesenswerten Blogbeitrag beschrieben. Sein Beitrag hat Leser dazu animiert selber mit Hilfe von einschlägiger Software die RNA-Sequenz des Spike-Proteins zu optimieren und das Ergebnis auf Identität mit der Sequenz von Tozinameran zu vergleichen. Im zweiten Teil seines Blog-Artikels kann man das Leaderboard sehen, das momentan (Stand: 2.1.2021, 22 Uhr) mit 91,08% Erik Brauer, mit Hilfe des DNAChisel Algorithmus, anführt.

Ein Fazit und die Frage nach dem „Gen der Woche“

Im Hinblick auf den Kontext, Das Gen der Woche, ist dieser Artikel besonders. Als Gen der Woche könnte man hier einfach den Abschnitt des RNA-Genoms von SARS-Cov2 sehen, der das Spike-Protein codiert. Oder eben das synthetische Gen, den Kern von Tozinameran. Wir haben gesehen, dass beide Sequenzen durchaus sehr unterschiedlich sind, und zwar nicht nur in der reinen Abfolge der Nukleotide sondern – und das ist sehr außergewöhnlich – sogar in ihrer chemischen Natur. Und doch codieren beide Nukleinsäuren fast das gleiche Protein.

Möglich wurde die Entwicklung eines solchen Impfstoffes in dieser unglaublich kurzen Zeit nur durch unser weitreichendes Verständnis der Art und Weise, wie DNA und RNA Information speichern. Wir dürfen darauf hoffen, dass dieser Impfstoff eine nachhaltig wirksame Maßnahme gegen die Covid-19 Pandemie darstellt. Und mehr noch, dürfte diese erste Zulassung eines RNA Impfstoffes dazu führen, dass wir in Zukunft noch schneller auf neue, aber auch altbekannte Infektionskrankheiten reagieren können. Denn die RNA in den Liposomen lässt sich relativ einfach austauschen.

Natürlich müssten auch zukünftige RNA-Impfstoffe auf ihre Sicherheit getestet werden, so wie es auch ausgiebig bei Tozinameran gemacht wurde, und momentan noch gemacht wird (Phase III Studien laufen noch bis August 2021). Wer im Übrigen Bedenken hat, ob man in der verkürzten Zeit bis zur kürzlich erfolgten Notzulassung von Tozinameran überhaupt „Langzeitfolgen“ abschätzen könne, dem sei sehr das Video von Martin Moder zu der Thematik ans Herz gelegt.

Theresa

Theresa ist die Person hinter diesem Blog und immer noch die Autorin aller Artikel. Sie hat in molekularer Neuroentwicklungsbiologie promoviert und ist durchaus offen für MitsteiterInnen für dieses Blogprojekt. Wenn ihr also Lust habt mitzuschreiben, meldet euch bei ihr.

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2 Antworten

  1. Jens sagt:

    Wirkt nicht und tötet jede Menge Menschen!

  1. Mai 5, 2021

    […] dem das Virus an den Wirtszellen andockt (genau gesagt, an ACE2), und dessen Bauplan uns mit den RNA-Impfstoffen von Pfizer/Biontech oder Moderna verabreicht […]

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