Arc – Wie uns ein Virus beim Lernen hilft

Das Jahr 2018 neigt sich dem Ende zu und wieder war es ein extrem ereignisreiches Jahr für die Molekularbiologie und Biomedizin. CRISPR hat die Schlagzeilen rund um den Erdball erobert. Aber nicht jede Forschungsarbeit, die in diesem Jahr Aufsehen und größtes Erstaunen hervorgerufen hat, hatte unmittelbar mit CRISPR zu tun. Schon im Januar 2018 kamen in der gleichen Ausgabe der Fachzeitschrift Cell zwei Artikel raus, die dafür sorgten, dass etlichen Mitgliedern unserer Arbeitsgruppe, darunter mir, die Kinnlade runtergeklappt ist.

Da ich es damals – aufgrund akuten Zeitmangels – nicht geschafft habe, zu erklären warum diese beiden Artikel einen derartigen Effekt hatten, gibt es heute einen längst schon überfälligen Artikel zum ARC Gen und zu der Frage ob vielleicht ein evolutionär uralter Virus(!) dafür verantwortlich sein könnte, dass wir uns an so viele Dinge erinnern können.

Mechanismen der Zell-Zell-Kommunikation

Virus: CowpeaMosaicVirus3D by Thomas Splettstoesser for wikimedia.org, CC-BY-SA-3.0

Um zu verstehen, warum die Publikation dieser Artikel damals einen derartigen Effekt hatte, müssen wir uns erst einmal ansehen, welche Arten der Informationsübertragung zwischen Zellen es gemäß des etablierten Lehrbuchwissens so gibt. Schon lange ist bekannt, dass die Zellen in unserem Körper mittels Signalmolekülen, zB Hormonen, Informationen austauschen. Im Gehirn – auch das wissen die meisten aus dem Biologie-Unterricht – geschieht der Informationsaustausch mittels Neurotransmitter. Diese werden von einer Nervenzelle in Vesikel verpackt und bei einer Erregung dieser Nervenzelle, das heißt beim Zustandekommen eines sogenannten Aktionspotentials, an einer Synapse ausgeschüttet. Dann wirken sie auf die Rezeptoren der dahinter geschalteten Nervenzelle. Bei diesen Rezeptoren kann man grob zwei Klassen unterscheiden: ionotrope Rezeptoren verändern direkt die Ionenkonzentration in der Zelle und damit die Wahrscheinlichkeit, dass diese Zelle als Antwort ebenfalls ein Aktionspotential produziert. Metabotrope Rezeptoren wirken langsamer: sie aktivieren Signalüberträger innerhalb der Zelle, welche daraufhin die Aktivität verschiedener Gene regulieren. Von einigen Genen wird dann beispielsweise mehr RNA und in Folge auch mehr Protein produziert.

Je nach genauer Fragestellung, würde man mit einer derartigen Antwort in einer Prüfung zur molekularen Genetik wohl viele bis alle Punkte bekommen. Im Gegensatz dazu, würde man mit folgender Antwort wohl eher nicht so gut punkten: „Die Zelle schnappt sich dann ein bisschen von dieser RNA, steckt sie in ein Paket und schmeißt es nach draußen; es landet in einer anderen Zellen und dort wird dann die enthaltene RNA abgelesen.“ Nein, das ist absurd. Der Student hat nichts kapiert und/oder nichts gelesen, würde man meinen. Zumindest bis 2017.

Viel besser wäre es gewesen, wenn der Prüfling beispielsweise etwas von seinem Wissen über „immediate early genes“ unter Beweis gestellt hätte. Denn das sind genau jene Gene, deren Protein-Produkte unmittelbar nach der Erregung der Zelle gebildet werden. Und ARC ist eines dieser immediate early genes, das wurde bereits 1995 publiziert. Im gleichen Jahr konnte eine andere Arbeitsgruppe zeigen, dass das ARC Protein vermehrt an Synapsen anzutreffen ist. Dass dieses Gen durch neuronale Aktivität reguliert wird und dass das Protein an den Synapsen sitzt, machten ARC zu einem hochinteressanten Forschungsobjekt. Es drängte sich unmittelbar die Hypothese auf, ARC könnte etwas mit synaptischer Plastizität und daher mit Lernen zu tun haben. Etwa zehn Jahre später, im Jahr 2006 wurde dann auch tatsächlich gezeigt, dass Mäuse ohne ARC Probleme mit dem Langzeitgedächtnis haben.

„Junk-DNA“

Es ist keine Seltenheit in der Genetik dass zuerst einmal Funktionen eines Genproduktes beschrieben werden (zB: Mäuse ohne funktionierende Kopie des ARC Gens lernen nicht mehr gut) und erst viel später dann der Wirkmechanismus aufgeklärt wird. Ein Extrembeispiel für einen ähnlichen Ablauf ist unsere Einschätzung gegenüber den etwa 98,5% unseres Genoms, die aus Sequenzen bestehen, die nicht unmittelbar für den Bau eines Proteins codieren. Heute redet zum Glück niemand mehr über „Junk DNA“; stattdessen haben wir angefangen diese Bereiche ansatzweise in verschiedene Gruppen zu sortieren.

Zahlen aus https://www.nature.com/articles/35057062 

Dabei ist aufgefallen, dass fast die Hälfte unseres Genoms (etwa 45%) aus sogenannten transposable Elements besteht (das wären in dieser Grafik LINEs, SINEs, LTR und DNA Transposons). Wie der Name schon sagt, sind diese Bereiche abgeleitet von Sequenzen, die prinzipiell in der Lage sind ihre Position innerhalb des Genoms zu wechseln, auch wenn die meisten diese Fähigkeit im Laufe der Zeit verloren haben. Eine bestimmte Klasse dieser „jumping genes“ sind die sogenannten LTR Transposons, die im wesentlichen aussehen wie endogene Retroviren. Und Retroviren sind nicht nur für das Verständnis des ARC Gens wichtig, sondern auch aus etlichen anderen Gründen so cool, dass ich unbedingt noch erklären muss, wie sie funktionieren.

Wie funktionieren Retroviren

Vielleicht hat es den einen oder anderen schon einmal gewundert, dass die „Struktur“ eines Retrovirus manchmal als ein gleichmäßiges Vieleck oder ein ähnlicher Körper dargestellt wird, aber manchmal auch einfach als ein Abschnitt DNA. Das hat folgenden Grund: selbst ein aktiver Retrovirus verbringt einen Teil seiner Zeit als Stückchen DNA. Wenn man den Virus als Organismus, also als Lebewesen ansehen würde (was der Großteil der Biologen nicht tut!), könnte man sagen, ein Stück DNA zu sein ist ein bestimmter „Lebensabschnitt“ des Retrovirus. Vereinfacht gesehen besteht dieses Stück DNA aus drei Abschnitten: gag, pol und env, flankiert von long terminal repeats (LTRs). gag und env codieren für Hüllproteine. pol codiert für ein Protein, das später in drei Enzyme gespaltet wird: eine reverse Transkriptase (die kann – entgegen dem üblichen Informationsfluss in der Zelle – DNA Abschriften von RNA Vorlagen erstellen), eine Integrase (diese kann DNA Abschnitte, die von LTRs flankiert sind in Genome einfügen) und eine Protease (die hilft bei der Reifung der anderen beiden Enzyme. Die Wirkungsweise eines solchen Retrovirus ist genial: wenn eine RNA Kopie dieser gesamten DNA erstellt wird, werden zunächst alle besprochenen Proteine gebaut und daraufhin die RNA Abschrift zusammen mit den drei Enzymen in die Hüllproteine eingepackt. Wenn dieses fertige Virus dann eine Zelle infiziert, sorgt die mitgebrachte reverse Transkriptase zunächst dafür, dass die RNA Abschrift wieder in DNA umgeschrieben wird. Die Integrase sorgt daraufhin dafür, dass diese DNA wieder ins Genom der infizierten Zelle eingebaut wird. Und schon ist der Virus von einem Genom in ein anderes Genom gesprungen.

Vereinfachte Struktur eines Retrovirus als DNA Fragment (oben) und als infektiöses Partikel (unten).

ARC ist ein spezialisierter Retrovirus!

Als im Jahr 2015 die genaue Struktur des ARC Genproduktes veröffentlicht wurde, wurde  der US-amerikanische Forschungsgruppenleiter Jason Shepherd, der in einem Interview sagte, er hätte nach fast 25 Jahren schon fast das Interesse an ARC verloren , plötzlich wieder hellwach. Das ARC Protein sah dem Capsid des wohl berühmtesten Retrovirus, HIV, einfach verdammt ähnlich. Das hat die Forschung an ARC wieder angefacht und zu der völlig verrückten Beobachtung geführt, die in den eingangs erwähnten beiden Artikeln in Cell beschrieben wurde: ARC ist im Wesentlichen ein rudimentärer Retrovirus! Als Reaktion auf die Erregung einer Nervenzelle wird ARC aktiviert und seine Bestandteile setzen sich zu Capsid-ähnlichen Partikeln zusammen, die RNA enthalten. Auch wenn diese ARC Partikel ihre eigene RNA zehnmal so gerne verpacken, kommt es durchaus auch vor, dass sie dabei auch andere RNA verpacken. Das Gesamtpaket, also so eine Art Virus, wird dann aus der Zelle ausgeschleust und von benachbarten Zellen aufgenommen. Somit wird aktivitätsgesteuert RNA von einer Nervenzelle in andere Nervenzellen geschleust. Nun ist das Rennen um die Klärung so vieler daran anschließender Fragen eröffnet: welche RNA wird vom ARC Protein zur Verpackung ausgewählt und wie? Wie weit verbreitet ist dieser neuartige Mechanismus der Zell-Zell-Kommunikation? Weiters eröffnet sich die Möglichkeit, ARC für die Gentherapie einzusetzen: um gesunde Kopien bestimmter Gene in Zellen einzubringen, die defekte Kopien dieser Gene tragen verwendet man oft Retroviren. Dabei gibt es allerdings einige Probleme, unter anderem löst dies meistens eine Immunantwort aus. Bei der Verwendung von ARC Partikeln könnte diese Immunantwort ausbleiben, da es sich um ein körpereigenes Protein handelt. In jedem Fall dürfte die Forschung an ARC in den kommenden Jahren noch für einiges Staunen sorgen.

Und nun, allen Lesern ein großartiges neues Jahr 2019!

Theresa

Theresa ist die Person hinter diesem Blog und immer noch die Autorin aller Artikel. Sie hat in molekularer Neuroentwicklungsbiologie promoviert und ist durchaus offen für MitsteiterInnen für dieses Blogprojekt. Wenn ihr also Lust habt mitzuschreiben, meldet euch bei ihr.

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Eine Antwort

  1. MarcusJerve sagt:

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