MYBPC3 und das Editieren der menschlichen Keimbahn

So, letzte Woche wurde er also publiziert. Für die Einen der Durch-, für die Anderen der Tabubruch. Forscher und natürlich auch -innen rund um den umstrittenen Stammzellguru Shoukhrat Mitalipov haben eine schwere Erbkrankheit aus menschlichen Embryonen rausgeCRISPRt. CRISPR, das wissen mittlerweile hoffentlich die meisten meiner Leser, ist diese „Genschere“, die man so designen kann, dass sie an (fast) jeder beliebigen Stelle des Genoms einen DNA-Doppelstrangbruch erzeugen kann. Wenn man gleichzeitig mit diesem, gegen ein bestimmtes defektes Gen programmierten, CRISPR nun eine „gesunde“ Variante dieses Gens in eine Zelle einschleust, hat man eine hohe Chance, dass diese Zelle das krankmachende Gen durch die korrekte Variante austauscht. Und wenn diese Zelle nun eine befruchtete Eizelle ist, dann werden alle Nachkommen dieser Zelle und damit der gesamte Organismus die reparierte Genversion in sich tragen.

Mitalipov und seine Leute haben auf genau diese Art und Weise in menschlichen Eizellen eine Mutation im MYBPC3-Gen repariert. Diese MYBPC3 Mutation ist für fast die Hälfte aller Fälle der Hypertrophen Kardiomyopathie verantwortlich. Das war der Fachzeitschrift Nature diese Woche ein Artikel mitsamt erheblicher begleitender Berichterstattung wert. Das Problem, das ich dabei habe ist: eine derartige Reparatur ven Erbkrankheiten in menschlichen Embryonen wurde in den vergangenen zwei Jahren bereits dreimal von chinesischen Wissenschaftlern beschrieben aber niemals in einer derartig hochkarätigen Zeitschrift publiziert. Ganz im Gegenteil; der common sense in der westlichen Forschungsgemeinschaft war, dass man an menschlichen Embryonen erstmal noch nicht rumCRISPRn sollte. Nun macht also Mitalipovs Gruppe, die in Portland in den USA sitzt, genau das, und es wird ein dicker Artikel daraus gemacht.

Also nochmal der Reihe nach: wie ich im Hintergrundartikel zur Gentechnologie schon ausführlicher beschrieben hatte, kam also im Jahre 2012 CRISPR daher und revolutionierte das Feld. Diese neue Methodik war bahnbrechend und so gut wie jedes molekularbiologische Labor auf der Welt hat angefangen damit zu arbeiten. Denn CRISPR als Werkzeug ist so universell, dass für nahezu jede genetische Anwendung unglaublich praktisch ist, für Immunologen, Krebsforscher oder gar Ökologen gleichermaßen. Und Allen war klar, dass solche Sachen wie Designerbabies – bislang eine Dystopie, die weit in der Zukunft anzusiedeln war – auf einmal in greifbare Nähe gerückt ist. Es wurde ein Appell verlautbart (im Übrigen bei Nature), der dazu aufforderte die Technik nicht an menschlichen Embryonen anzuwenden, da sie noch nicht genau genug untersucht wurde.

Aber noch bevor man sich im Dezember 2015 in Washington zu einem Gipfel zusammengefunden hatte um genauere Richtlinien zu entwickeln, wurde die Arbeit einer chinesischen Arbeitsgruppe aus Guanzhou veröffentlicht. Die chinesischen Forscher hatten CRISPR eingesetzt wurde um in menschlichen Embryonen das beta-Globin-Gen (HBB) zu reparieren, das in einer bestimmten Ausprägung die beta-Thalassämie hervorruft. Diese Arbeit wurde in der relativ unbedeutenden Fachzeitschrift Protein & Cell (mit einem impact factor von etwa 5) veröffentlicht, nachdem Nature und Science sie zurückgewiesen hatten.

Einer zweiten Arbeit chinesischer Forscher zur Editierung des menschlichen Genoms mittels CRISPR ging es ähnlich. Der Artikel, der beschreibt, wie die CCR5delta32-Mutation in menschliche Embryonen eingebracht wurde, wodurch diese immun sind gegen HIV, wurde im noch unbedeutenderen Journal of Assisted Reproduction and Genetics veröffentlicht (impact factor von etwa 2). Dabei arbeiteten die Forscher beider Teams an menschlichen Eizellen, die durch einen Trick entwicklungsunfähig gemacht wurden um ihre Arbeit quasi „ethisch zu entschärfen“. Denn unabhängig vom Erfolg der CRISPR-verursachten Veränderung, könnten sich diese Eizellen nicht zu lebensfähigen Embryonen weiterentwickeln.

Und zu Beginn diesen Jahres gab es eine dritte Publikation, bei der genetische Defekte, diesmal in lebensfähigen menschlichen Eizellen, mittels CRISPR repariert wurden. Wieder musste man den Artikel in einer Wald-und-Wiesen-Zeitschrift suchen (Molecular Genetics and Genomics, impact factor von etwa 3). Dabei waren die Erfolgsraten, die bei den ersten beiden Arbeiten noch mäßig überzeugend waren, diesmal auch schon erheblich besser.

Nun also hat Mitalipov, und damit ein Forscher, der in den USA residiert, seine Arbeit über geCRISPRte Embryonen eingereicht und Nature (mit einem impact factor von über 40) bringt die Story ganz groß raus. Ich habe einen Blick darauf geworfen: natürlich repariert auch Mitalipov eine Mutation, die einer Erbrankheit zugrunde liegt (und zerstört nicht zB Myostatin um Babies mit Riesenmuskeln zu erzeugen). Im Falle seines Papers ist das die MYBPC3ΔGAGT-Mutation, die die eingangs erwähnte hypertrophe Kardiomyopathie, also die Verdickung eines Teils des Herzens, hervorruft. Wenn diese Erkrankung frühzeitig erkannt wird, ist sie ganz gut behandelbar; unerkannt ist sie jedoch oftmals die Ursache für einen plötzlichen Herzstillstand.

Im Gegensatz zu den Chinesen, die ihre CRISPR-Konstrukte erst in die bereits befruchtete Eizelle injiziert hatten, hat Mitalipovs Gruppe den fertigen CRISPR-Cocktail nun gleichzeitig mit dem Spermium in die Eizelle eingebracht. Dabei wurde erstmalig erreicht, dass der CRISPR tatsächlich in 100% aller untersuchten Zellen etwas angestellt hat. Allerdings haben sie nur in 72% aller Fälle wirklich die richtige Sequenz eingebaut und das Gen repariert. In den übrigen 28% der Fälle hat die Zelle auf den DNA-Doppelstrangbruch, den CRISPR ausgelöst hatte, reagiert, indem sie ohne Rücksicht auf Verluste die offenen Enden wieder zusammengeflickt hat. Bei diesem Vorgang entstehen allerdings leider neue Fehler; die alte Mutation wurde also durch eine neue Mutation ausgetauscht. In dem Abstract des Artikels schreiben die Autoren allerdings wenig zurückhaltend, dass nun also die prinzipielle Anwendbarkeit dieser ganzen CRISPR-Sache gezeigt wurde und dass das Einzige, was es noch zu beweisen gilt, die Reproduzierbarkeit bzw die Anwendbarkeit auf andere Mutationen sei.

Dabei gäbe es durchaus noch völlig andere Einwände gegen eine Anwendung des CRISPR-Systems auf die menschliche Keimbahn. Unter der Keimbahn versteht man im Wesentlichen die kontinuierliche Entwicklungslinie von Zellen, die im frühen Embryo als Ei- oder Samenzellen angelegt werden und dadurch später wieder Anteil haben an der kommenden Generation. Eine genetische Veränderung, die in eine befruchtete Eizelle eingebracht wird, wird in allen Körperzellen (dadurch auch in Ei- oder Samenzellen) vorhanden sein. Sie wird daher auch an alle zukünftigen Generationen weitervererbt. Einige Kritiker sehen hier eines der wichtigsten Prinzipien der modernen Medizin verletzt: den informed consent. Dieser fordert, dass alle Menschen, an denen ein medizinischer Eingriff erfolgt, erst über die entsprechende Prozedur aufgeklärt werden müssen und dann in Anbetracht dieses Wissens frei entscheiden können, ob sie sich diesem Eingriff unterziehen wollen.

Bei Kindern (aber im übrigen auch beispielsweise bei bewusstlosen schwer verletzten Unfallopfern) legen wir allerdings schon heute notgedrungen eine andere Vorgehensweise an den Tag: wir unterstellen ihnen, dass sie sich einem Eingriff unterziehen wollen, der etwa ihre Schmerzfreiheit oder sogar ihr Weiterleben sicher stellt, und entscheiden an ihrer statt. Warum sollten wir dies also nicht auch für Menschen tun, die heute noch nicht einmal gezeugt wurden?

Es gibt also Argumente sowohl für als auch gegen die Manipulation der menschlichen Keimbahn zu geben. Wir haben hier nur einen Bruchteil der Argumente angesprochen, die in dieser Diskussion vorgebracht werden können und werden. Dies macht deutlich, wie dringend wir eine breite Diskussion zu diesem Thema bräuchten, damit die Öffentlichkeit nicht erneut – wie beim Gentechnik-PR-Desaster – das Gefühl haben wird, sie würde von den gruseligen Auswüchsen einer blinden Fortschrittsgier überrollt werden.

Ich möchte zum Abschluss noch kurz festhalten: ich habe zur Zeit selber keine abschließende Meinung über diese Art der Anwendung von CRISPR, denn es gibt noch so viele Punkte, vor allem Risiken, abzuklären. Ich denke aber ethische Vorsichtsmaßnahmen und Richtlinien, die sich eine internationale Zeitschrift von Weltrang selbst auferlegt, sollten die Gleichen sein für Forscher in Guangzhou, wie für Forscher in Portland. Ich finde es daher etwas schizophren, dass Nature noch vor etwa zwei Jahren einen Appell abdruckt, der vor der Modifikation der menschlichen Keimbahn warnt und entsprechende Artikel aus China zurück weist, solange noch nicht eine ganze Reihe von Risiken abgewogen wurden. Mitalipovs Artikel ist seit letzter Woche aber publiziert; und das obwohl sich in den vergangen zwei Jahren bezüglich der Risikoabschätzung sicherlich noch nicht nennenswert etwas getan hat.

Theresa

Theresa ist die Person hinter diesem Blog und immer noch die Autorin aller Artikel. Sie hat in molekularer Neuroentwicklungsbiologie promoviert und ist durchaus offen für MitsteiterInnen für dieses Blogprojekt. Wenn ihr also Lust habt mitzuschreiben, meldet euch bei ihr.

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