Die Hauptprotease von SARS-CoV2: mit Röntgenstrahlen auf der Suche nach Medikamenten

„Bei der Endung –ase können Sie immer davon ausgehen, dass es sich um ein ganz böses Protein handelt, das etwas anderes kaputt macht.“

Mein Zellbiologieprofessor im ersten Semester des Biologiestudiums

Mit fortschreitendem Studium der Biologie lernt man natürlich, dass die obige Aussage – frei aus meinem Gedächtnis zitiert – nicht immer ganz zutrifft. Aber tatsächlich sind die meisten Proteine, die auf -ase enden solche, die etwas anderes spalten können. Was sie spalten wird meist durch die Silbe davor angegeben. Eine Protease ist also ein Protein, das (andere) Proteine spalten kann. Hat das Coronavirus nun also eine Protease um die Proteine in unseren Zellen zu spalten? Nein, denn zumindest die Hauptprotease des Coronavirus, engl. main protease, daher kurz auch MPro genannt, spaltet die viruseigenen Proteine. Und warum dies für das Coronavirus so wichtig ist, dass MPro intensiv als möglicher Ansatzpunkt für Medikamente gegen Covid-19 erforscht wird, möchte ich euch in diesem Artikel erklären.

Das Genom von SARS-Cov2

Viren werden in aller Regel nach dem Typus ihres Genoms eingeteilt. Es gibt DNA- und RNA-Viren, wobei Coronaviren zu den RNA-Viren zählen. Genauer gesagt gehören sie zu den einzelsträngigen RNA-Viren mit positiver Polarität, kurz +ssRNA Viren. Schauen wir uns nun also mal an, was denn auf diesem einzelnen RNA Strang, den das Coronavirus mit sich herum trägt, so alles drauf steht:

Reproduced from Alanagreh, L.; Alzoughool, F.; Atoum, M. The Human Coronavirus Disease COVID-19: Its Origin, Characteristics, and Insights into Potential Drugs and Its Mechanisms. Pathogens 2020, 9, 331, https://doi.org/10.3390/pathogens9050331, under Creative Commons Attribution (CC BY) license.

Auf der RNA sind alle Proteine codiert, die das Coronavirus braucht um sich in den Wirtszellen zu vermehren. Im hinteren Teil der Virus-RNA sind all jene Proteine codiert, die zur Struktur des Virus beitragen. Dazu gehört zum Beispiel das berühmte Spike Protein (S), mit dem das Virus an den Wirtszellen andockt (genau gesagt, an ACE2), und dessen Bauplan uns mit den RNA-Impfstoffen von Pfizer/Biontech oder Moderna verabreicht wird.

Im vorderen Teil sind die sogenannten non-structural proteins (NSP) codiert, die einfach von 1 bis 16 durchnummeriert werden. Diese Proteine sind im reifen, zirkulierenden Virus gar nicht mehr vorhanden. Sie sind aber fundamental wichtig, um die Wirtszelle dazu zu bringen, neue Viren zu produzieren. In diesem Artikel wird es um das fünfte non-structural protein, NSP5, gehen, dann dabei handelt es sich um die Hauptprotease (MPro), die manchmal auch 3CL-Protease genannt wird.

Von rutschiger RNA und stolpernden Ribosomen

Bei der Recherche zu diesem Artikel ist mir ein völlig abgefahrener Mechanismus untergekommen, von dem ich selber bislang noch nichts gehört hatte. Die meisten meiner Leser*innen wissen bereits, dass Proteine gebaut werden, indem das Ribosom die RNA abliest und für jedes spezifische Triplett auf der RNA eine spezifische Aminosäure in das wachsende Protein einbaut. Somit muss die DNA und RNA, die für ein Protein codiert, eigentlich immer aus mindestens 3 Mal so vielen Nukleotiden (A, C, T, G) bestehen, wie die Anzahl von Aminosäuren, aus denen das Protein aufgebaut ist.

Reproduced from Bhatt, Pramod R.; Scaiola, Alain; Loughran, Gary; Leibundgut, Marc; Kratzel, Annika; McMillan, Angus et al. (2020): Structural basis of ribosomal frameshifting during translation of the SARS-CoV-2 RNA genome. In: bioRxiv, 2020.10.26.355099, DOI: 10.1101/2020.10.26.355099, under Creative Commons Attribution (CC BY) license.

Eigentlich.

Auf Viren lastet allerdings ein hoher evolutionärer Druck, ihr Genom möglichst klein zu halten. Das Genom der Coronaviren nutzt daher einen Trick, der auch bei einigen anderen Viren zu finden ist. An einer Stelle, kurz nach NSP10, findet man folgenden RNA-Sequenzabschnitt: UUU UUA AAC. Die Abstände zeigen das bis dahin verwendete Leseraster an. Für das Ribosom ist dieser Sequenzabschnitt äußerst „rutschig“. Hier verhaspelt es sich oft und stolpert in einen neuen Leseraster. Diesen Prozess nennt man auch Ribosomal Frameshifting. Ab dieser Stelle gibt es also zwei Varianten von Aminosäurenketten, also zwei unterschiedliche Proteine. Bei einer Version des Proteins (bei der der Leseraster mit GGG = Glycin, UUU = Phenylalanin usw. fortgesetzt wird) entsteht NSP11. Die andere Version (fortgesetzt mit CGG = Arginin, GUU = Valin und so weiter) resultiert in NSP12-16.

Dies aber nur am Rande und ohne weitere Details, denn als NSP5 ist die Hauptprotease ja noch vor diesem Abschnitt codiert.

Die Funktion der Hauptprotease

Zunächst einmal finde ich es immer wieder bemerkenswert, dass es Proteine gibt, die als Teil einer langen Aminosäurenkette entstehen und sich dann innerhalb dieser Kette schon so falten, dass sie biologisch aktiv werden können um sich selber aus dieser Kette herauszuschneiden. Genau so ein „sich selbst befreiendes“ Protein ist auch MPro, was ihr auch in dem schicken Video ganz am Ende des Artikels schematisch erkennen könnt. Aber damit nicht genug: nachdem MPro sich selbst aus der Aminosäurenkette befreit hat, schneidet es diese noch an 9 weiteren Stellen (siehe die kleinen blauen Dreicke in dem Bild unten). Erst dadurch können die NSPs 6-16 so richtig ihre Arbeit aufnehmen, nämlich die Vermehrung von Virusbestandteilen. Wenn man die Hauptprotease also in ihrer Funktion stören könnte, sollte man der Virusvermehrung einen Riegel vorschieben. Ein Wirkstoff, der MPro hemmt, könnte also ein dringend benötigtes Medikament zur Behandlung von akuten Covid-19 Infektionen sein.

Mit Röntgenstrahlen auf der Suche nach Wirkstoffen

Um Hemmstoffe für Proteine zu identifizieren, sollte man zunächst die Struktur des Zielproteins genau kennen. Zur Strukturaufklärung von Proteinen setzt man seit Jahrzehnten erfolgreich Röntgenstrahlung ein. Dazu müssen die aufgereinigten Proteine zunächst in großer Menge kristallisiert werden. Dieser Kristall wird nun in sehr energiereiches Röntgenlicht gehalten, dessen Wellenlänge in etwa den Atomabständen im Kristall entspricht. Dieser wirkt dann als Beugungsgitter. Das nach der Streuung auf einem Detektor aufgefangene Muster an Röntgenstrahlung erlaubt die Rekonstruktion der Struktur des Proteins. Auf diese Art und Weise wurden die Strukturen aller Proteine des Coronavirus bereits beschrieben, auch wenn diese Strukturen mit viel Sorgfalt ständig noch verfeinert und verbessert werden.

Reproduced from Lubin, Joseph H.; Zardecki, Christine; Dolan, Elliott M.; Lu, Changpeng; Shen, Zhuofan; Dutta, Shuchismita et al. (2020): Evolution of the SARS-CoV-2 proteome in three dimensions (3D) during the first six months of the COVID-19 pandemic. In: bioRxiv, 2020.12.01.406637. DOI: 10.1101/2020.12.01.406637. With kind permission from Stephen Burley.

Aber woher kommt dieses starke Röntgenlicht? Heutzutage wird dies meist mittels Synchrotron Lichtquellen erzeugt.

PETRA III, eine Synchrotronlichtquelle bei DESY

Das Deutsche Elektronen-Synchrotron (DESY) ist ein Forschungszentrum im Hamburger Westen existiert seit Anfang der 1960er Jahre. In den 1960er bis 2000er Jahren wurden hier Elementarteilchen untersucht, und beispielsweise mein Lieblingsteilchen, das Gluon, entdeckt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Seit dann dem Teilchenzoo über die letzten Jahrzehnte immer weniger hinzuzufügen war, wurde der Ringbeschleuniger PETRA als Synchrotronlichtquelle betrieben. Das Prinzip: in einem Kreisbeschleuniger (einem sogenannten Speicherring) werden Grüppchen von Elektronen mithilfe von elektrischen Feldern in Hohlraumresonatoren auf annähernd Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Große Magnete lenken sie dabei immer wieder im Kreis – bei PETRA kreisen sie 130.000 Mal pro Sekunde um den 2,3 km langen Beschleuniger. Auf ihrer Kreisbahn werden diese Elektronen dann durch sogenannte Undulatoren geschickt wo sie durch Magnetfelder abwechselnder Richtung hin und her schwingen. Dabei geben sie das so heiß begehrte intensive Röntgenlicht ab, das tangential vom Ring zu den Messstationen weggeführt wird. Momentan befinden wir uns in der dritten technischen Generation von PETRA: PETRA III. Über die kommenden paar Jahre soll PETRA III allerdings zu PETRA IV, und damit zur leistungsstärksten Synchrotronlichtquelle der Welt weiter entwickelt werden.

Links: Ein Luftbild des Hamburger Westens zeigt, wo die großteils unterirdisch liegenden Beschleuniger des DESY und des European XFEL liegen. © DESY / R. Schaaf und D. Schröder. Rechts: In den Beamlines wird das Röntgenlicht tangential vom PETRA III Ring zu den Messstationen geführt. © DESY /  illustrato.

Entlang des PETRA III-Rings liegen die sogenannten Beamlines und Hutches, an denen die Forscher*innen ihre Messungen machen können. Und genau in drei dieser Beamlines, P11, P13 und P14 um genau zu sein, hielt ein internationales Forscherteam um Alke Meents bei DESY seine Proben in den Röntgenstrahl. Bei diesen Proben handelte es sich aber nicht nur um Kristalle der Hauptprotease alleine. Stattdessen wurde MPro in knapp 6000 verschiedenen Reaktionsgefäßen mit jeweils einer potentiellen Wirkstoffsubstanz zusammen kristallisiert. Dazu wurden sogenannte chemical libraries verwendet, die nur Substanzen erhalten, die bereits als Arzneistoffe für andere Erkrankungen zugelassen sind oder sich im Zulassungsverfahren befinden. Im Falle eines oder mehrerer Treffer würde dies die Zulassung eines solchen Stoffes zur Behandlung von Covid-19 erheblich beschleunigen, da alle diese Stoffe schon auf ihre prinzipielle Verträglichkeit getestet wurden.

Calpeptin und Pelitinib als potentielle Medikamente gegen Covid-19

Auf diesem Weg wurden 37 Wirkstoffe identifiziert, die an die Hauptprotease binden können. In einem nächsten Schritt wurde am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg getestet, ob diese Wirkstoffe in kultivierten Zellen die Virusvermehrung bremsen können. Dies war immerhin bei 7 Wirkstoffen der Fall. Zwei dieser Wirkstoffe, Calpeptin und Pelitinib, zeigten dabei so stark hemmende Wirkung, dass sie nun in weitern präklinischen Studien näher untersucht werden.

Oben links: DESY-Forscher Alke Meents bei den Wirkstoffscreenings an der PETRA III-Strahlführung P11. Oben rechts: Der Probenhalter (links) an der Messstation P11 dreht die Probe im Röntgenlicht aus dem PETRA III-Beschleuniger. Währenddessen kühlt ein Strom aus kaltem Stickstoff die Probe. Mit Hilfe vieler Streubilder aus verschiedenen Richtungen kann man die Molekülstruktur des Protein-Wirkstoff-Komplexes berechnen. Unten links: In der Kontrollhütte der PETRA III-Strahlführung P11 zeigt DESY-Forscherin Wiebke Ewert auf einer sogenannten Elektronendichtekarte, wo ein Wirkstoffkandidat (grün) an die Hauptprotease des Corona-Virus (blau) bindet. Unten rechts: Oberflächendarstellung von der Corona-Hauptprotease Mpro mit gebundenem Wirkstoff Calpeptin (gelb). © 2021 DESY/C. Schmid

Diese vielversprechenden Ergebnisse, an denen auch Forscher*innen von vielen anderen Forschungseinrichtungen, wie zum Beispiel der Universität Hamburg, des EMBL Hamburg oder dem European XFEL beteiligt waren, sind vor kurzem bei Science publiziert worden.

Das DESY hat die Forschungsarbeit hinter dem Artikel übrigens auch in diesem coolen Video erklärt. Viel Spaß damit!

Theresa

Theresa ist die Person hinter diesem Blog und immer noch die Autorin aller Artikel. Sie hat in molekularer Neuroentwicklungsbiologie promoviert und ist durchaus offen für MitsteiterInnen für dieses Blogprojekt. Wenn ihr also Lust habt mitzuschreiben, meldet euch bei ihr.

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3 Antworten

  1. sehr schön!
    Aber was bitte machen Polymerasen kaputt? 😉

  2. Jürgen Apitzsch sagt:

    Böse …ase

    Das Ribonukleoprotein Telomerase wirkt durchaus lebensverlängert, ja sogar ein Stück weit verjüngend, da sie die abgenutzten Enden deiner Telomere repariert und aufbaut. Phytotherapeutisch verwertbar beispielsweise in der Tragantwurzel Astragalus.

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