Bindung im Gehirn: Oxytocin
Einige Gene haben eine so lange und umfangreiche Forschungsgeschichte, dass es ist schwierig ist zu entscheiden, wo man anfangen soll. In diesem Artikel soll es um Oxytocin gehen, außerdem um Liebe und Fürsorge, aber auch Fremdenhass und Unehrlichkeit. Als Startpunkt dieser bunten Geschichte entscheide ich mich für ein süßes kleines Nagetier aus Nordamerika, die Präriewühlmaus. Die Präriewühlmaus lebt ausgesprochen monogam, was im Tierreich eher unüblich ist. Auch die nah verwandte und fast identisch aussehende Rocky-Mountains-Wühlmaus ist nicht monogam. Das hat Forschende vor die Frage nach den Ursachen für diese so unterschiedlichen Verhaltensweisen gestellt.
Monogame und weniger monogame Wühlmäuse
In den frühen 1990er Jahren verglichen Forscher die Gehirne dieser beiden Spezies, die sich so sehr ähneln, aber doch so unterschiedliche Sexualverhalten zeigen. Sie fanden, dass vor allem zwei Rezeptortypen in den beiden Spezies sehr unterschiedlich verteilt sind: jene für Oxytocin und jene für Vasopressin. Oxytocin und Vasopressin wirken als Hormone und bestehen jeweils als neun Aminosäuren. Sie sind sich äußerst ähnlich: nur in zwei dieser Aminosäuren unterscheiden sich die beiden Neuropeptide.
Prariewühlmäuse paaren sich in aller Regel recht ausigiebig und haben dann eine starke lebenslange Bindung zu ihrem Partner. Wenn man die Tiere jedoch nur kurz aufeinandertreffen lässt, kommt es nicht zu dieser Paarbindung – außer man hilft nach: Injiziert man den Männchen dabei Vasopressin ins Gehirn, zeigen sie das gewohnt starke Präferenzverhalten gegenüber ihrer Partnerin. Bei den Weibchen klappt das auch, allerdings nach Injektion von Oxytocin. Umgekehrt bleibt diese Partnerbindung aus, wenn man die Vasopressin- bzw. Oxytocin-Ausschüttung in den Tieren unterdrückt. Weitere Studien konnten zeigen, dass Oxytocin und Vasopressin bei dieser Art der Partnerbindung vor allem das mesolimbische Dopaminsystem aktiviert, welches als das zentrale „Belohnungssystem“ des Gehirns gilt.
Oxytocin aus Nasensprays
Die beiden Wühlmaus-Spezies sind seither der Goldstandard der Monogamie-Forschung und die Anzahl der Publikationen zu diesem Thema ist unüberschaubar geworden. Mehr öffentliches Aufsehen erregten dann allerdings jene Studien, in denen das System im Menschen untersucht wurde. Eine besonders aufsehenderregende Studie aus dem Jahre 2005 zeigte, dass Oxytocin, welches als Nasenspray verabreicht wurde, das Vertrauen von Menschen erhöht. Spezifisch ging es in der Studie darum, dass die Proband:innen anderen Personen Geld überlassen, welche dieses Geld mit Gewinn zurückgeben konnten – oder eben nicht. Dies in Kombination mit der sich anhäufenden Evidenz, dass Oxytocin Paarbindung und Fürsorge erhöht, haben zu boomendem Absatz von Oxytocin Nasensprays geführt.
In welcher Spezies man auch schaute: Oxytocin schien einfach immer die Bindung zwischen Individuen zu erhöhen. Das beinhaltet neben Paarbindung, auch die Mutter-Kind-Bindung und die Bindung zwischen Individuen einer sozialen Gruppe. Dadurch wurde Oxytocin bekannt als das Kuschel-, Lieb-Hab- und partnerschaftliche-Treue-Hormon schlechthin. Männer, die sich in langjährigen Beziehungen befinden, halten nach der Einnahme von Oxytocin per Nasenspray einen ca. 10-15 cm weiteren Abstand zu einer fremden attraktiven Frau ein, als Männer, die ein Placebo-Nasenspray bekommen haben. Bei Single Männern wirkt sich die Oxytocin-Gabe nicht auf den Abstand aus.
Plot Twist: Oxytocin und Fremdenfeindlichkeit
2011 bekam die Geschichte jedoch eine unerwartete Wendung, als Carsten De Dreu und seine Kolleg:innen die Kehrseite der Medaille aufzeigten. Denn je stärker das Verhalten zum Wohle der eigenen Angehörigen ist, umso stärker ist in einigen Szenrien das aggressive Verhalten gegenüber Außenstehenden. So kann Oxytocin unfaires Verhalten gegenüber Individuen außerhalb der eigenen Gruppe verstärken. Oxytocin scheint auch die Bereitschaft zur Lüge zu erhöhen, wenn davon auszugehen ist, dass die Lüge dem Wohl der eigenen Gruppe dient.
Dann wiederum führten Bonner Forscher:innen unmittelbar nach der Flüchtlingskrise ab 2015 ein interessantes Experiment durch. Sie gaben studierenden Proband:innen 50 Euro und ließen offen, wie viel davon an einheimische oder geflüchtete bedürftige Menschen gespendet werden soll. Zudem erhoben sie per Fragebogen den Grad der ablehnenden Haltung gegenüber Migrant:innen. Die Gabe von Oxytocin erhöhte die Spendenbereitschaft nur bei jenen Proband:innen, die eine eher positive Einstellung gegenüber den Geflüchteten angaben, nicht bei jenen die ihnen eher ablehnend gegenüber stehen. Wirklich spannend war aber eine weitere Runde des Experiments: wenn den eher ablehnenden Proband:innen zusätzlich zur Oxytocin-Gabe gesagt wurde, wie hoch die Spendenbereitschaft gegenüber Geflüchteten bei anderen Teilenhmer:innen war, dann erhöhte dies ihre eigene Spendenbereitschaft gegenüber den Migrant:innen erheblich. Man könnte dieses Ergebnis wieder als den bereits mehrfach demonstrierten Effekt von Oxytocin deuten, unser Verhalten stärker an das der eigenen Gruppe anzupassen. Vielleicht sollten wir etwaige fremdenfeindliche Nachbar:innen also einfach öfter umarmen und ihnen gleichzeitig sagen, dass wir geflüchtete Mitmenschen mit offenen Armen aufnehmen. Aber wie war das nochmal mit den Umarmungen und dem Oxytocin?
Korrelation, Kausalität, kommt im Internet nicht so drauf an
Belegt ist, dass Oxytocin-Levels bei Frauen und Männern unmittelbar nach einem Orgasmus erhöht sind. Seit ein paar Jahren geistert auch die Meldung durch das Internet, dass lange Umarmungen (in vielen Quellen wird eine Mindestzeit von 20 Sekunden angegeben) ebenfalls die Oxytocin-Ausschüttung triggern. Auf Social Media Plattformen wird damit gerne für Umarmungen geworben. Nun, ich kann Umarmungen auch nur weiterempfehlen und dass diese zu Oxytocin-Ausschüttungen führen, ist auch sicherlich nicht ausgeschlossen. Nur: belegt ist es meinen Recherchen nach eher nicht. Zumindest geht es mir wie diesem Autor und ich konnte auch nach einiger Suche keine Studie finden, die Evidenz dafür liefern würde. Tatsächlich wird die Behauptung an einigen Stellen (zb hier) fälschlicherweise mit dieser Studie belegt. Diese zeigte aber nur, dass Frauen, die angaben, ihre Partner häufiger und länger zu umarmen, einen höheren Oxytocinspiegel aufwiesen. Diese Korrelation erlaubt allerdings keinen Schluss auf die Kausalität: erhöhen die Umarmungen den Oxytocinspiegel oder neigen Frauen mit höheren Oxytocinspiegel zu mehr Umarmungen?
Die Forschungsgeschichte zu Oxytocin ist also ganz sicher noch nicht zu Ende. Die Frage danach, in genau welchem Kontext Oxytocin eher pro-soziales oder anti-soziales Verhalten fördert, muss derzeit noch beantwortet werden mit: it’s complicated. Eine Studie aus 2022 untersuchte die Großzügigkeit und Zufriedenheit von Proband:innen im Alter zwischen 18 und 99 Jahren und titelt: „Oxytocin Release Increases With Age and Is Associated With Life Satisfaction and Prosocial Behaviors“ – allerdings wissen wir auch hier nicht, wie es sich mit Ursache und Wirkung verhält. 😊