EPAS1, das Sportler- und Hochlandgen

Als ich für die Recherchen zum Artikel dieser Woche angefangen hatte war ich selber völlig verblüfft. EPAS1 ist ein wirklich faszinierendes Protein. Ich versuche euch also mal der Reihe nach zu erzählen, was es Wissenwertes zu EPAS1 gibt. Nur soviel schon vorweg: es hat mit Tibetern, Sportlern, Sauerstoff und einer längst ausgestorbenen Menschenart zu tun. Das einzig uninteressante an EPAS1 ist der vollständige Name: endothelial PAS domain-containing protein 1. Atemberaubend hingegen war an EPAS1 die Beobachtung, dass Tibeter fast ausschließlich eine bestimmte Variante des Gens tragen, während diese Variante beispielsweise bei Han-Chinesen kaum auftaucht (publiziert 2010 in Science).

Tatsächlich ist die Ungleichversteilung dieser beiden Varianten zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen, die sich erst vor ein paar tausend Jahren aufgespalten haben, so hoch wie sie noch nie bei irgendeinem menschlichen Gen beobachtet wurde. Welcher Umweltfaktor kann es also sein, der dieses Gen so unglaublich schnell evolvieren hat lassen? Es gibt sehr gute Hinweise darauf, dass es die so außergewöhnliche Seehöhe Tibets ist. Schon Lhasa liegt auf fast 4000m, einer Höhe in der man bei normaler Atmung bereits ein Drittel weniger Sauerstoff aufnimmt als man es am Meer tun würde. Die meisten Tibetreisenden (egal ob Europäer, Amerikaner oder Han-Chinesen) reagieren darauf mit einer ausgewachsenen Höhenkrankheit.

Als Rasmus Nielsen, Professor in Berkeley, entdeckte dass fast alle Tibeter eine Variante von EPAS1 tragen, die man ansonsten nirgendwo auf der Welt gefunden hatte, bekam er den Eindruck, die Tibeter hätten dieses Gen von einer anderen Spezies übernommen. Und genau diese Theorie publizierte er 2014 in Nature, womit er für einiges Aussehen sorgte. Sie besagt, dass die Tibeter ihre Variante des EPAS1 Gens von den Denisova-Menschen haben. Die Densiova wurden erst 2010 beschrieben, als man im südsibirischen Altai-Gebirge menschliche Skelettteile gefunden hatte, deren genetisches Material allerdings sowohl von Neandertalern als auch von modernen Menschen so unterschiedlich war, dass man sie heute weithin als eigenständige Spezies innerhalb der Gattung Homo akzeptiert hat. Ähnlich wie der Neandertaler starben die Denisova-Menschen gegen Ende der Altsteinzeit aus, allerdings nicht ohne sich vorher noch kurz (und im überschaubaren Ausmaß) mit dem damals auf dem Vormarsch befindlichen modernen Homo sapiens zu vermischen. Und bei einer solchen Vermischung haben wohl einige Vorfahren der Chinesen und Tibeter (damals noch nicht getrennte Populationen) ein etwa 30.000 Basenpaar langes Stückchen Denisova-DNA abbekommen. Bei denjenigen Menschen, die daraufhin die tibetsiche Hochebene besiedelten erwies sich dieses Stückchen DNA als so vorteilhaft, dass es sich in der Population verfestigte, wohingegen die übrigen Han-Chinesen es zum größten Teil wieder verloren bzw. „rausverdünnt“ haben.

Wie also kann dieser DNA-Abschnitt mit der Denisova-Variante des EPAS1-Gens einen so enormen Vorteil für die Menschen, die sich auf über 4000 Metern Höhe angesiedelt haben? Lange Zeit kannt man EPAS1 unter einem anderen Namen: hypoxia-inducible transcription factor alpha 2 (kurz HIF-2a). Wie es der Name schon sagt ist EPAS1 also ein Transkriptionsfaktor, der bei Sauerstoffknappheit exprimiert wird. Und die Gene, die vom EPAS1-Transkriptionsfaktor aktiviert werden, wirken – wenig verwunderlich – großteils auf die Produktion von Blutgefäßen, roten Blutkörperchen und vor allem auch des Sauerstoff transportierenden Moleküls Hämoglobin. Bei chronischer Höhenkrankheit reagiert der Körper auf den verringerten Sauerstoff indem er mehr Hämoglobin produziert. Durch das erhöhte Hämoglobin wird unser Blut allerdings zäher uns es wird schwerer für unser Herzen es zu pumpen. Auf Dauer ergeben sich dadurch eine Menge medizinischer Probleme.

Bewohner extremer Höhenlagen in den Anden haben auch erhöhte Hämoglobinwerte; allerdings haben sie Strategien entwickelt, mit diesen umzugehen. Bei den Tibetern hingegen scheint die Höhenanpassung anders zu funktionieren, denn sie haben erst gar keine erhöhten Hämoglobinwerte. Das haben sie vermutlich zumindest zum Teil der ihr so eigenen EPAS1-Variante zu verdanken, denn diese scheint am sehr viel geringeren Maße die Hämoglobinproduktion anzuregen als sie es bei uns Europäern bei Sauerstoffknappheit tun würde.

Dass die Anpassung an extreme Höhenlagen durch bestimmte Varianten des EPAS1-Gens sehr alt ist, zeigt nicht nur der vermutete Ursprung der Tibeter-Variante in den ausgestorbenen Denisova-Menschen sondern auch das Vorkommen von spezifischen, seehöhenabhängigen Varianten des Gens in verschiedenen Tierspezies. Denn auch Rinder beispielsweise können Höhenkrankheit entwickeln und an den Folgen sterben, was in den amerikanischen Rocky Mountains ein echtes Problem ist. Hier ist es eine unvorteilhafte Version des EPAS1 Gens, die 2015 in Zusammenhang gebracht wurde mit dem auch bei Rindern oft tödlichen verlaufenden Höhenlungenödem. Und erst vorletzte Woche wurde ein Artikel veröffentlicht, der verschiedene EPAS1-Varianten in einer bestimmten Falkenart des tibetischen Hochplateaus diskutiert.

Aber nicht nur Menschen und Tiere in den Bergen brauchen ein besonders gutes Sauerstoffversorgungssystem. Auch Sportler verlangen ihrem Körper in dieser Hinsicht einiges ab. Tatsächlich wurde bereits 2005 in einer kleinen, wenig beachteten Studie ein Zusammenhang zwischen dem EPAS1-Gen und dem Energiestoffwechsel von Ausdauersportlern gezeigt. Nach all dem Aufsehen allerdings, für das die Denisova-Tibeter-Geschichte gesorgt hatte, haben polnische und australische Wissenschaftler nochmal gezielt nach ungleich verteilten EPAS1-Varianten in einigen unterschiedlich erfolgreichen Athlethen gesucht und dementsprechende Varianten beschrieben. Eine groß angelegte Studie zum Thema EPAS1 und körperlicher Leistungsfähigkeit gibt es allerdings noch nicht. Dennoch macht alles was wir bisher wissen EPAS1 zu einem dieser Kandidaten für einen Ansatzpunkt, wenn es um die Idee geht im Sinne eines genetischen enhancement an uns herumzufuhrwerken, sollten wir uns irgendwann auf die gentechnische Manipulation des Menschen einigen. Schließlich wurde das auch gerade wieder mal angedacht, als es darum ging, dass wir uns mit Hilfe der Gentechnik besser an ein potentielles Leben auf dem Mars rüsten könnten oder sollten. Ob wir das aber wirklich wollen, darüber – denke ich – sollten wir zuerst nochmal ausführlich nachdenken und diskutieren.

Theresa

Theresa ist die Person hinter diesem Blog und immer noch die Autorin aller Artikel. Sie hat in molekularer Neuroentwicklungsbiologie promoviert und ist durchaus offen für MitsteiterInnen für dieses Blogprojekt. Wenn ihr also Lust habt mitzuschreiben, meldet euch bei ihr.

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