Dystrophin – Reparaturarbeiten am größten menschlichen Gen

Wir schreiben also das Jahr 2017! Ich hoffe alle Leser- und innen sind gut herüber gerutscht! Während die Anzahl der Rückblicke auf das Jahr 2016 in den Medien langsam wieder nachlässt, dachte ich mir, ich sollte unbedingt noch sowas Ähnliches vom Zaum brechen. Daher hab ich mir für den ersten Artikel im neuen Jahr ein Gen ausgesucht, über das so viel geforscht, entwickelt und publiziert wird, dass man locker einen Rückblick über einige Forschungshighlights des Jahres 2016 dazu schreiben kann: Dystrophin ist in mehrfacher Hinsicht ein außergewöhnliches Gen. Von etlichen Quellen, unter anderem dem amerikanischen National Institute of Health (NIH) wird es mit etwa 2,5 Millionen Basenpaaren als das größte Gen des humanen Genoms angegeben. Außerdem ist es auf einem Geschlechtschromosom (X) codiert, wodurch es auf besondere Weise vererbt wird. Dies führt dazu, dass fast ausschließlich Jungen von den schweren Erkrankungen betroffen sind, die durch Mutationen im  Dystrophin-Gen ausgelöst werden. Die häufigsten dieser Erkrankungen sind die folgenschweren Muskeldystrophien vom Typ Becker und Duchenne.

Um zu verstehen, wie diese schweren Erkrankungen zustande kommen, muss man zuerst verstehen, welche Funktion Dystrophin im gesunden Muskel erfüllt. Damit Zellen stabil in ihrem Gewebeverband liegen müssen sie fest an einem außerhalb der Zellen liegenden Gerüst, der extrazellulären Matrix, verankert sein. Dystrophin ist an dieser Verbindung zwischen dem inneren Zellgerüst, des sogenannten Cytoskeletts, durch die Zellmembran hinweg an der äußeren, extrazellulären Matrix beteiligt. Wenn das Dystrophin-Gen mutiert ist, ist die normale Zellfunktion durch den Verlust dieser Verbindung so stark gestört, dass die Muskelzellen mit der Zeit absterben. Erste Anzeichen dieses Muskelschwundes machen sich meist im Alter zwischen drei und fünf Jahren bemerkbar. Meist sind Patienten ab dem frühen Jugendalter auf einen Rollstuhl angewiesen und sterben im frühen Erwachsenenalter durch den fortschreitenden Schwund der Atem- und Herzmuskulatur.

Da die Ursache für diese Erkrankung eben meist einzig und allein in einer Mutation des Dystrophin-Gens zu finden ist, wäre Gentherapie, also der Austausch des fehlerhaften Gens durch die unbeeinträchtigte Kopie denkbar. An einer derartigen Therapie der Muskeldystrophie (Duchenne oder Becker) wird bereits seit etlichen Jahren intensiv geforscht. Aber zu den üblichen Schwierigkeiten, die Gentherapie-Ansätze immer mit sich bringen, kommt in diesem Fall ein weiteres Problem dazu: das Dystrophin-Gen ist so groß, dass man nicht einfach einen Virus damit bestücken kann, der das „gesunde“ Gen in die Zellen einschleust. Seit ein paar wenigen Jahren allerdings haben wir allerdings ein neues, unglaublich mächtiges Werkzeug zur Verfügung, dass nicht nur in diesem Blog bereits unzählige Male diskutiert wurde: CRISPR. Wie könnte man nun also mittels CRISPR das Dystrophin-Gen reparieren? Dazu wurden vor ziemlich genau einem Jahr, im Januar 2016, in der prestigeträchtigen Fachzeitschrift Science gleich drei Artikel veröffentlicht (Tabebordar et al, 2016; Long et al, 2016 und Nelson et al, 2016).

Bei allen Gentherapie-Ansätzen versucht man die gesunde Kopie eines Gens in das Genom eines Patienten zu integrieren. Bei konventionellen Gentherapie-Verfahren verwendet man dazu meist Viren, die mit der gesunden Variante eines Gens bestückt sind und diese an zufälligen Stellen ins Genom einsetzt. Mit Hilfe des CRISPR/Cas9-Systems hingegen ist es möglich, eine Veränderung an einer genau definierte Stelle im Genom, zum Beispiel also direkt am fehlerhaften Dystrophin-Gen vorzunehmen. Dadurch wird das Verfahren nicht nur sicherer, sondern es erlaubt auch, einen nur kleinen Abschnitt des Gens zu ersetzen, nämlich nur genau jenen, an dem die Mutation liegt. Genau so ein Verfahren, vorgenommen an jungen Mäusen mit Mutationen im Dystrophin-Gen, wurde in den drei Artikeln beschrieben. Tatsächlich wurde dadurch ein Teil der Dystrophin-Produktion wiederhergestellt und die Mausmuskeln zeigten nach der Therapie verbesserte Leistungen. Dies ist insbesondere bemerkenswert, als es sich um bereits geborene Mäuse handelte, deren Muskeln bereits aus Millionen von Zellen bestanden. Die Viren treffen aber immer nur vereinzelte Zellen und auch nur in einem Bruchteil dieser Zellen funktioniert die Reparatur des Dystrophin-Gens korrekt. Und dennoch reichte diese Korrektur in ein paar wenigen Zellen aus, dass sich die Gesundheit des ganzen Muskels verbesserte.  Bis wir mit dieser Therapie allerdings menschliche Patienten behandeln werden können, ist es noch ein weiter Weg.

Von der US-amerikanischen Food and Drug Administration, FDA bereits für die klinische Anwendung zugelassen wurde im September 2016 hingegen ein anderer Ansatz: Exondys 51 (oder auch Eteplirsen) kommt allerdings nur für etwa 13% aller Duchenne Muskeldystrophie-Patienten als Wirkstoff in Frage. Um zu verstehen, warum das so ist, muss man sich die genaue Art der Mutation, die eben nur bei 13% aller Betroffenen zu einem Funktionsverlust des Dystrophin-Gens führt, näher ansehen. In diesen Patienten führt eine Mutation nämlich an einer bestimmten Stelle zu einer Verschiebung des Leserasters, einem sogenannten frame shift. Da immer drei Basenpaare auf der DNA für eine Aminosäure eines Proteins codieren führt der Wegfall eines einzelnen Basenpaares zu einer Verschiebung des Codes im kompletten restlichen Gen. Nun ist dieser Code allerdings nur auf Exons codiert; nicht-codierende Introns werden während des sogenannten Splicing aus der mRNA herausgeschnitten. Exondys 51 ist ein Oligonukleotid, dass sich genau an den Übergang zwischen einem Exon und einem Intron legt und auf diese Weise verhindert, dass das Exon Nummer 51 in der reifen Dystrophin mRNA vorhanden ist. Durch den Wegfall dieses Exons fehlen dem Dystrophin zwar am Ende ein paar Aminosäuren, viel wichtiger aber ist es, dass das Leseraster dadurch wieder soweit zurechtgerückt wird, dass der nachfolgende Code wieder richtig ist. Die klinischen Studien zu diesem Präparat waren sehr vielversprechend und sollte diese Therapie weiterhin gut funktionieren, ist die Hoffnung groß, dass sich andere Ansätze denselben Mechanismus zu Nutze machen könnten. Dann durch dieses exon skipping wären prinzipiell vermutlich etwa 85% aller Muskeldystrophien therapierbar, wenn man entsprechende Moleküle für die anderen Mutationen entwickelt. Ein gravierendes Problem bleiben jedoch die Kosten derartig forschungsintensiver Therapien: die Behandlung eines Jungen mit Exondys 51 kostet rund 300.000 US Dollar pro Jahr.

Theresa

Theresa ist die Person hinter diesem Blog und immer noch die Autorin aller Artikel. Sie hat in molekularer Neuroentwicklungsbiologie promoviert und ist durchaus offen für MitsteiterInnen für dieses Blogprojekt. Wenn ihr also Lust habt mitzuschreiben, meldet euch bei ihr.

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