Myostatin, die Zukunft des Dopings?
Wir sind mal wieder Olympia! Topathlethen dominieren ihre Disziplinen, hektisches Umschalten zwischen Berichten an etlichen sportlichen Schauplätzen dominiert die Fernsehprogramme bis in die frühen Morgenstunden. Es hagelt Edelmetall in allerlei Disziplinen, von denen der normalsterbliche Zuschauer bis gerade eben nicht wusste, dass sie existieren. Die teilnehmenden Athleten jedoch trainieren Tag und Nacht für dieses Ereignis. Allerdings werden Medaillen mittlerweile regelmäßig auch wieder aberkannt: soeben musste der kirgisische Gewichtheber Issart Artykow seine Bronzemedaille wieder abgeben. In seinen Proben wurde Strychnin nachgewisen, was der eine oder andere Leser durchaus kennen könnte: es ist der Wirkstoff in handelsüblichem Rattengift. Man wundert sich vielleicht ein bisschen; aber irgendwie auch nicht: klar, Dosis macht bekanntlich das Gift und dopen tun sie doch alle! Man muss eben nur aufpassen, dass man die Grenzwerte der weithin bekannten Substanzen nicht überschreitet. Aber was, wenn wir in Zukunft noch eine ganz andere Art des Dopings zur Verfügung hätten? Was, wenn wir in unser Erbgut eingreifen könnten um uns leistungsstärker zu machen? Nun, in jedem Fall würden wir wohl bei dem außergewöhnlichen Gen Myostatin anfangen.

Die Geschichte rund um das Myostatin-Gen fing 1997 an, als Wissenschaftler an der amerikanischen Johns Hopkins University eine Maus genetisch derart veränderten, dass ihr das Gen für einen noch kaum untersuchten Wachstumsfaktor namens GDF-8 fehlte. Diese Maus entwickelte sich zu einem wahren Muskelprotz, weswegen diese Zuchtlinie noch bis heute gerne „mighty mouse“ genannt wird. Als dieser Artikel erschien wurden Wissenschaftler, die sich mit Viehzucht beschäftigten, hellhörig. Sie waren schon seit Jahren einem Gen auf der Spur, welches dem außergewöhnlich starken Muskelwachstum zweier Rinderzuchtlinien zugrunde liegen könnte: das Piemonteser Rind und die sogenannten weißblauen Belgier. Nach dem Hinweis auf das GDF-8 Gen, welches bald den eingängigeren Namen Myostatin erhielt, war es ein leichtes, zu überprüfen ob bestimmte (defekte) Versionen dieses Gens in genau jenen Rindern zu finden sind, welche das starke Muskelwachstum zeigen. Noch im gleichen Jahr bestätigten sie genau dies in einem seperaten Artikel. Es ist also der Verlust der Funktion des GDF-8/Myostatin Gens, welches sowohl Mäuse als auch Rinder besonders muskulös machten. Bald folgten Beschreibungen von Hunden, anderen Tieren und schließlich, 2004, erschien auch die klinische Beschreibung eines deutschen Kleinkindes, welches eine solche Mutation und eben erhebliches Muskelwachstum aufwies. Seither gibt es auch viel Gemunkel über Bodybuilder mit vermeintlich mutiertem Myostatin-Gen, allerdings sind die meistens Quellen hierzu spärlich und/oder zweifelhaft.
Was also macht Myostatin und wieso wachsen unsere Muskeln schneller, wenn wir es los sind? Wieso haben wir überhaupt ein solchen Gen, dessen Produkt unseren schweißlich erarbeiteten Muskelaufbau zu sabotieren scheint? Nun, wenn unsere Muskeln wachsen, entweder weil unser ganzer Körper gerade noch wächst oder weil wir uns beispielsweise an einer Langhantel versuchen, dann wird ein Faktor namens MyoD aktiviert. MyoD bindet an DNA und schaltete eine ganze Reiher weiterer Gene ein, die für die Entwicklung einer Muskelzelle notwendig sind. Stamm- bzw Vorläuferzellen fangen auf das Signal von MyoD hin also an sich zunächst zu teilen und dann zu prächtigen Muskelfasern zu entwickeln. Myostatin allerdings blockiert gezielt die Teilung dieser Vorläuferzellen und limitiert somit ihre Anzahl. Diese Art der Regulierung durch zwei entegegengesetzt agierende Faktoren gibt es in der Entwicklung fast aller unserer Gewebetypen und Fragen nach einem (evolutionären) „warum?“ würden sehr schnell in Grundsatzdiskussionen abdriften. Nur soviel: Muskeln fressen jede Menge Energie und es ist evolutionär gesehen sicherlich nicht ratsam unnötig viele davon mit sich herum zu tragen, sondern eben nur so viele, wie es die Lebensumstände erfordern. Aber für jemanden, der seine Muskeln nun gerne trotzdem höher stapeln möchte, ist die Hemmung von Myostatin also der heilige Gral? Und wenn ja, wie könnte man dies anstellen? Ist Gendoping wirklich möglich?

Nun, die nachhaltigste Variante sein Myostatin kaputt zu bekommen wäre die tatsächliche Veränderung der DNA-Sequenz des Gens in allen Körperzellen. Dazu wäre allerdings ein gentechnischer Eingriff in die menschliche Keimbahn notwendig. In einem erwachsenen Menschen alle Zellen gentechnisch zu manipulieren ist absolut unmöglich; da müsste man früher ansetzen, idealerweise bei einer einzelnen Zelle. Entweder also man würde eine befruchtete Eizelle (oder totipotente Stammzelle) so verändern, dass das Myostatin Gen kaputt ist, dann wäre diese Veränderung auch in allen Zellen, die sich aus ihr entwickeln enthalten oder aber man verändert Ei- und Samenzellen bereits vor der Befruchtung. In jedem Fall wäre diese Veränderung dann fest in das Erbgut des entwicklenden Menschen eingeschrieben und würde auch immer weiter vererbt werden. Derartige Veränderungen werden zur Zeit von allen (gen)technisch weit entwickelten Nationen kategorisch abgelehnt. Was bleiben also für Alternativen übrig?
Nun, denkbar wäre es die RNA des Myostatin-Gens zu blockieren. Dies wäre mittels einer Technolgie namens RNA-Interferenz durchaus möglich. Zwar wäre eine solche Blockade kein totaler Funktionsverlust, aber man könnte vielleicht eine erhebliche Herabregulierung der Myostatin-Funktion erreichen. Therapien dieser Art sind allerdings noch nicht besonders weit entwickelt und gehen oft mit erheblichen Nebenwirkungen einher. Leichter wäre es die Reifung des Myostatinproteins zu blockieren. An dieser Reifung sind bestimmte Enzyme, Metalloproteasen, beteiligt, deren Funktion man pharmakologisch hemmen könnte. Diese könnten allerdings auch die Reifung anderer Proteine verhindern, deren Funktion man eigentlich ganz gerne unangetastet hätte. Eine dritte Möglichkeit besteht darin das Myostatin selbst zu blockieren, in dem man es mittels Antikörpern bindet und daher unwirksam macht. Ein solcher Antikörper, entickelt von Wyeth Pharmaceuticals, hatte es bis in die zweite Phase einer klinischen Studie geschafft. Stamulumab wurde an Patienten mit schweren Muskelentwicklungsstörungen (Dystrophien) getestet; die erhoffte positive Wirkung blieb allerdings aus und das Medikament wurde nicht weiter entwickelt. Eine letzte Möglichkeit der Hemmung der Myostatin-Wirkung ist die Blockade des Rezeptors an den das Protein bindet. Auch ein solches Molekül (ACE-031) wurde zur Behandlung der sogenannten Duchenne Muskeldystrophie entwickelt; nach einer nicht besonders erfolgreichen klinischen Studie wurde im Jahr 2013 allerdings auch dieses Projekt gestoppt.
In den Weiten des Internets kursieren allerdings bis heute noch etliche vermeintliche Myostatin-Inhibitoren, die – wenn man den betreffenden Bloggern glaubt – Wunder wirken wenn es um die Vermehrung und Vergrößerung von Muskeln geht. Es bleibt jedoch davon auszugehen, dass man sein Geld besser in ein paar Päckchen Magerquark investiert.